Text von Dr. Volker Adolphs (D)
„…für einen Künstler doch ein Paradies…“ „Angesammeltes“ zum Werk von Karl-Heinz Jeiter
Katalog „Karl-Heinz Jeiter – Bezeichnetes“, Stolberg 1987

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Text von Dr. Volker Adolphs (D)
„...für einen Künstler doch ein Paradies...“
„Angesammeltes“ zum Werk von Karl-Heinz Jeiter.

„Heute habe ich dem Platz einen Besuch abgestattet, wo die Aschenmänner den Müll jetzt hinbringen. Mein Gott, war das schön! Ich bekomme morgen einige interessante Gegenstände von diesem Misthaufen u.a. kaputte Straßenlaternen zur Ansicht - oder als Modelle, wenn du willst. Es war etwas für ein Märchen von Andersen, diese Sammlung abgedankter Eimer, Körbe, Eßnäpfe, Ölkannen, Eisendrath, Straßenlaternen, Tonpfeifen... Ich werde heute nacht wohl im Traum damit zu schaffen haben, aber vor allem diesen Winter bei der Arbeit. Wenn du wieder nach Den Haag kommst.empfele ich mich bestens, Dich einmal zu diesem Platz und an noch ein paar andere Stellen hinzufügen, die, obzwar so unansehnlich wie möglich, für einen Künstler doch ein Paradies sind.“ Vincent van Gogh schrieb diese Sätze im Februar 1883 an den Maler Anthon van Rappard und erklärte mit ihnen das Unscheinbare und Alltägliche, das Gebrauchte, den Abfall zu etwas Kunstwürdigem. Es sind die ästhetischen Reize des Trivialen, es ist die Schönheit des Häßlichen und die Poesie des Beschädigten und Ausrangierten, die hier in den Blick des Malers rücken.

Unabhängig von den Folgerungen, die van Gogh aus dieser Erfahrung tatsächlich für die eigene Kunst zog, umschreibt sein Brief einen der Ausgangspunkte, an denen hundert Jahre später Karl-Heinz Jeiter seine zeichnerischen Erkundungen beginnt. Jeiters „Müllhalden“ und „Ansammlungen“ zeigen das, was die menschliche Gesellschaft verschlissen und ausgeschieden hat, ein Chaos wie hingeschwemmte Ablagerungen, wuchernde Gebirge von Wohlstandsschutt sie zeigen das im Grunde Provokante. Als Spiegel unseres sorg- und verantwortungslosen Umgangs mit den Dingen, eines Umgangs, der Lebensqualität an der Höhe des Konsums bemißt, formulieren sie durchaus Zivilisationskritik. Diese wird allerdings kaum mit missionarischem Eifer und eindeutigen Botschaften vorgetragen, sondern erfolgt eher nebenbei. Nie steht solche kritische Mitteilung im Zentum der Bilder, sie kann später vollständig zurücktreten, nämlich da, wo mehr und mehr erfundene Objekte den Bildraum beherrschen.

Wichtig und zunehmend wichtiger erscheind die Bedeutung, die der zum Kunst-gegenstand emanzipierte Abfall bei Jeiter für die künstleriche Phantasie entfaltet. Das als wertlos Weggeworfene erhält ästhetischen Wert zugesprochen; von der Vielfalt der Fundstücke, dem ungeordneten Nebeneinander des Gerümpels, von dem sich lavaartig ergießenden Geröll der Formen gleich dem Beginn der Schöpfung geht eine inspirierende Kraft aus. Der Müllplatz lehrt, das Alltägliche neu zu sehen, er liefert ein Reservoir unzähliger Gestalten, er schickt uns auf eine Entdeckungsreise, er beschleunigt Traum und Phantasie. Alles das hatte van Gogh wohl auch im Sinn, als er den Müllplatz ein „Paradies“ für einen Künstler nannte.

So bleibt Karl-Heinz Jeiter nicht bloß bei einer exakten Reproduktion des Gesehe-nen stehen, sondern er läßt sich inspirieren und über die Grenzen sichtbarer Realität hinaus zu neuen Formen treiben, vom Vorgefundenen zu Erfundenen; die Dinge verwandeln sich durch und in Phantasie, Wirkliches und Unwirkliches überlappen sich. In den Halden tauchen seltsame und irritierende Gegenstände von unbekannter Herkunft auf, die ein eigenes Leben hinter sich haben und deren mögliche Funktion wir nicht kennen. Es sind einfache bis komplexe Körper von unterschiedlicher Beschaffenheit der Oberfläche: Pyramidales, Zylindrisches, Prismenhaftes, vielflächige Blöcke, verknickte Platten, Schichtungen, Röhren, Trommeln, Ringe, verwinkelte Leisten, eigenartige Gestänge, seltsame knäuelatige Gebilde; die Sprache kommt dem zeichnerischen Einfallsreichtum kaum nach. Bewusst läßt uns Jeiter viele Assoziationsmöglichkeiten, auch die zurückhaltende und zögernde betitelung der Werke verweist auf diese Offenheit. In den „Ansammlung“ bzw. „Angesammelt“ genannten Arbeiten der letzten beiden Jahre, die in der Ausstellung zu sehen sind, zeigt uns Jeiter eine spielerisch entworfene eigene Welt, ein dichtes Gestrüpp erfundener Gestalten; längst hat der Künstler hier auf Fotos von realen Schauplätzen als Vorgabe und Anregung verzichtet.

Das Dargestellt, seine Formen, Beziehungen, Bedeutungen, ist nicht alles, für Jeiter zählt die Darstellung bzw. ihr Vollzug ebensoviel. Gemeint ist der künstlerische Akt, der zeichnerische Prozeß selber, die pure Lust am Schraffieren, Kritzeln, Wischen. Jeiter erprobt das, was Zeichnung sein kann. Ausschließlich mit Bleistiften und Farbstiften bewaffnet, die für eine nie grellfarbigte, sondern von einer Vielzahl von Graustufen beherrschten Tonskala sorgen, macht es sich über seine großen Papierrollen her. In der Beschränkung auf die Möglichkeiten dieses Materials liegt ein Reichtum, denn aus der Linie lassen sich rascher und freier als durch andere Medien immer neue Gestalten und Organismen entfalten. "Die Linie ist" , mit Henry van de Velde gesprochen, „eine Kraft; sie entlehnt ihre Kraft der Energie dessen, der sie gezogen hat.“

Das Kraftfeld, das Jeiter so erkundet, reicht von der präzisen Erfassung der Dinge, von akkurat mit dem Lineal gezogenen Strichlagen bis zu einem gestisch präg-nanten Linienwerk, in dem sich Subjektivität un Emotionalität vor allem niederschagen, ohne dass die intellektuelle Kontrolle aufgegeben wäre. Oft scheinen die Lineaturen kaum mehr die Gegenstände definieren zu wollen, sondern ein unabhängiges, wie von einem eigenen Antrieb gesteuertes Leben zu führen. In den Bildern Karl-Heinz Jeiters begegnen wir dem Gekratzten, Getupften, Verwehten, unterschiedlichen Stadien von Verdichtung und Offenheit, dunklen, klumpigen Ballungen und zarten, luftigen Geweben; das Vokabular besteht aus Schwingung und Verkantung, zusammenschießenden Linienbündeln und kringeligen Knäueln. Die Vielschichtigkeit der zeichnerischen Struktur macht aus dem verfilzten und verhakten Unterholz des Abraums etwas sehr Lebendiges.

Im Rückblick ist also leicht zu benennen, was die Halden aus Müll, von denen Jeiter 1983 bewusst ausgegangen war, für ihn als künstlerisches Sujet interessant machte. Der Mikrokosmos der Halde bot die Möglichkeit eines spielerischen und

phantasievollen Umgangs mit einer Fülle von neuen und neu zu sehenden Dingen und er bot die Möglichkeit der Entfaltung zeichnerischer Mittel.

Dass das frühe Diktum van Goghs von den Reizen des Abfalls auch im Zusammen-hang mit anderen Positionen moderner Kunst zitiert wird, legt einen Vergleich nahe,

dessen Schlußfolgerung beinahe banal erscheint. Es ist die freie zeichnerische Übersetzung und Verwandlung der Müllfundstücke in eine eigene künstlerische Wirklichkeit, die Jeiter von denjenigen Künstlern des 20. Jahrhunderts unterscheidet, die das triviale Abfallprodukt direkt als Objekt trouvé in Collagen, Assemblagen, Akkumalationen montieren und kombinieren. Der transfomierende Zugriff Jeiters geht erheblich weiter als die Handhabung zum Beispiel Armans, bei dem bereits das Material selbst zu Kunst wird, Darstellung und Dargestelltes also ineinanderfallen; die bloße zweckfreie Anhäufung der verrotteten, defekten, ausgesonderten Gebrauchsgegenstände soll diesen neue ästhetische Eigenschaften verleihen.

Am Anfang der künstlerischen Biographie Jeiters behaupten sich noch andere Themen, seit 1982 vor allem Stadt- und Straßenansichten, die Geometrie weiter Häuserlandschaften, aber auch einzelne Plätze, Kreuzungen, besondere architektonische Situationen. Es sind immer und zuerst Bilder der Nacht: Lichtbahen durchschneiden das Dunkel, Lichter platzen fleckenhaft heraus und strukturieren die Zeichnungen, so dass man ohne weiteres auch von Lichtstudien sprechen kann, in denen das Wechselspiel greller Helligkeiten mit der nächtlichen Schwärze dichter Bleistiftschraffuren erprobt wird. Noch verzichtet Jeiter nicht auf Fotos als Vorlage.

Zunächst zeichnet er sie mehr oder weniger ab, doch bald werden sie freier ghandhabt, als erste Kompositionsstützen genutzt, verändert, in eigene Bildpläne eingebaut. Schließlich sind Fotos wohl vor allem Lieferanten von Ideen, ein Arsenal der Anregungen. Dieser allmählichen Abkehr von festen Vorgaben korrespondiert eine Lockerung der zeichnerischen Handschrift. Die impulsiv gesetztn Strichlagen könnten die Konturen der Gegenstände zersplittern und überfahren, die Silhouetten auflösen.

Der Mensch scheit in den öden, nächtlichen Straßenfluchten keinen Platz zu haben; nur manchmal verirrt sich jemand hierher. Einsam und orientierungslos steht die „Radfahrerin“ (1983) im Dunkel. Doch der Weg zu menschlichen Gestalt wird nicht weiter verfolgt. Das Thema der Nachtansichten wird schließlich überhaupt auf-gebeben, auch wenn Jeiter noch eine Zeitlang an Serien wie „Regen“, „Tiefgarage“, „Bürgersteig“ arbeitet, als schon längst die Halde ins Zentrum des künstlerischen Interesses gerückt ist.

1983 entsteht „Müllhalde I“. Der Ausgangspunkt ist ein Foto, ein realer Sperrbezirk des Abfalls. Noch führt ein Weg durch das Gebräu des Mülls, der sich von links in das Bild schiebt. Ein Zaun grenzt den Berg aus Schutt und Schrott ab. Im rechten Bildbereich sind einige Bäume zu sehen, etwas Landschaft, die noch nicht vom Bodensatz der Konsumgesellschaft besetzt und zerfressen ist. Im selben Jahr beginnt Jeiter die Serie „Abbruch“. Vor dem Hintergrund einer bunkerhaften Betonmauer ist die Halde bis zur Hälfte des Bildes gewuchert. Hier ist die Nahtstelle, das Foto wird überflüssig, denn das Thema verselbstständigt sich, wird autark, fordert unabhängige Bilderfindungen.

Nun wachsen die Müllberge, lassen aber bisweilen einen schmalen Streifen Himmel frei und gehen zum Horizont in ein blasses Liniengewirr über, spielen mit perspektivischen Effekten. So suggerieren sie die relative Überschaubarkeit und Begrenzung einer Landschaft und folgen in der Bildorganisation Jeiters frühen Stadtlandschaften und deren perspektivischer Ordnung. Vom Horizont begrenzt, wächst der Abfall um so deutlicher nach vorne aus dem Bild heraus, quillt dem Betrachter zu Füßen; der könnte meinen, mitten in diesem labyrinthischen Verhau des Ausgesonderten zu stehen.

Jeiter wechselt die Blickrichtung und bleibt für die Zukunft bei einer deutlichen Aufsicht bzw. Vogelperspektive, durch die die Müllanhäufungen wie flächig in die Bildebene hochgeklappt erscheinen. Von Halden ist nun kaum mehr zu sprechen, denn sie geben sich nicht mehr als begrenzte Volumen im Raum zu erkennen. Der Müll setzt sich jetzt über alle Bildränder hinaus fort, er ist von potentieller Unendlichkeit. Das einzelne Bild ist offenbar bloß ein Fenster, das nur den kleinen Ausschnitt eines Ganzen freigibt, dessen Grenzen wir nicht einmal mehr ahnen.

Wir dürfen allerdings annehemen, dass bei einer Konzeption des Bildes als Ausschnitt, der ein Dickicht von Ablagerungen ohne Oben und Unten, ohne räumliche Ordnung und Umgebung, ohne Hierarchie der Dinge zeigt, dem Ausschnitt eine stellvertretende Rolle für das Ganze zukommt, pars pro toto, so oder ähnlich setzt sich das Ganze zusammen: ein riesiger Lagerplatz des Verfaulenden genauso wie eine Geburtsstätte neuer Gestalten, auch dies ein Bild von der Welt.

Diese Bildstruktur behält der Künstler bis zu seinen letzten Arbeiten bei. Immerhin testet Jeiter aber verschiedene Distanzpunkte. In mehreren „Stilleben“ genannten Zeichnungen konzentriert er sich auf einige wenige Objekte, führt uns nahe an sie heran, arrangiert sie buchstäblich als ungewöhnliche Stilleben. Oder er läßt uns auf ein weiters, verwirrendes Areal aus Eimern, Kühlschränken, Rädern, Kisten, Matratzen, Brettern, Felgen, Stangen, Töpfen, Kannen, Röhren sehen und gesellt dem Alltagsgerümpel immer mehr ein reiches Repertoire erfundener, unbekannter, geheimnisvoller Objekte hinzu.

1985 zeichnet Jeiter die „Große Ansammlung“. (Es wäre dem Künstler wohl durchaus recht gewesen, wenn die ` Große Ansammlung A (157 x 200 cm) noch etwas größer hätte ausfallen können, doch begrenzt die industrielle Fertigung des Zeichenkartons, mit dem Jeiter arbeitet, die Sehnsüchte nach Monumentalerem bzw. die eine Seitenlänge der Bilder auf 157 cm.) Die Entwicklung der Titel „Müllhalde“ zur bloßen „Ansammlung“ spiegelt die Entwicklung der Inhalte. In der Tat läßt sich dem Arsenal der Dinge in der ` Großen Ansammlung A kaum mehr mit eindeutigen Assozisationen oder Identifikationen beikommen. Eine Müllhalde aus verrotteten Gebrauchsgegenständen ist hier nicht mehr zu sehen, sonder eher ein undurchdringlicher Sumpf, ein verstrunktes Gehölz seltsamer Formen. Da könnte einem Rodolphe Bresdin in den Sinn kommen; in seiner Radierung „La Comédie de la Mort“ von 1854 wächst ein krautiges, knorrigers Dickicht, eine Landschaft, in der Skelette ein makabres Schauspiel bieten, unsagbares Getier, gefährliche Gesichter hausen, ein Dickicht also in ständiger Metamorphose der Formen, Organisches und Anorganisches gehen eine bedrohliche Synthese ein, Werden und Vergehen sind eins. Auch die „Große Ansammlung“ beweist, dass es für Jeiter keineswegs gleichgültig ist, welche Technik, welches Material er in seinen Arbeiten verwendet, vielmehr ist das Medium der Zeichnung substanziell am künstlerischen Ergebnis beteiligt. Jeiter kaschiert und neutralisiert also nicht die eigene Qualität rein zeichnerischer Mittel, sonder stellt sie bewußt heraus. Das wird noch deutlicher in einer Serie kleinformatiger Arbeiten (28 x 34 cm), die im letzten Jahr entstand. Der experimentierende Umgang mit den Möglichkeiten der Zeichnung, die Entfaltung einer eigenen Gramatik des Zeichnens ist hier das Wesentliche. In diesen Werken gewinnt, anders als in den größeren, komplexeren Arbeiten, jede Linie, jede Geste bereits eine Bedeutung für das Bildresultat. Ein einzelner Strich vermag die gesamte Bildfläche zu überspannen, Krakeluren, fleckenhafte Verdichtungen, Linienbündel, -kreuzungen, -bahnen wirken als kompositionelle Schwerpunkte, die Anzahl der bildtragenden Elelmente erscheint verringert, die Textur aufgelockert. Und wo ein Strich um seiner rauhen, körnigen Qualität willen für sich allein stehen bleibt, da tritt die Bedeutung der Gegenstandsbeschreibung zurück. Der Gegenstand ist aber nicht völlig getilgt, noch entdeckt man bisweilen Pyramiden, Reifen, Kannen etc. Häufig schaffen innere Rahmungen so etwas wie Bühnen, auf denen sich die Dinge treffen, starke Helligkeitsunterschiede erzeugen vielfältige Lichtsituationen, offene, wolkige Flächen am oberen Bildrand lassen an Himmel denken. Zusammen mit einzelnen perspektivischen Effekten führen sie das Thema das Raumes und seiner Tiefe in das Werk Jeiters zurück.

Den Raum thematisierte Karl-Heinz Jeiter seit 1986 allerdings auch unmittelbar. Mit seinen Kartonobjekten erschloß er sich eine wichtige neue Ausdrucksform. Daß Maler bzw. im Fall Jeiters Zeichner Skulpturen schaffen, ist in der Geschichte der Kunst nichts Ungewöhnliches, man denke nur an die Universalkünstler der Renaissance oder für unser Jahrhundert an die herausragende innovative Rolle Pablo Picassos. Die Reihe von Maler-Plastiken ließe sich bei ohnehin unscharf gewordenen Begriffsgrenzen leicht bis heute weiterverfolgen. Dieses Phänomen scheint jedoch nach 1945 erst wieder mit der Welle neuer wilder Malerei in das Bewusstsein des Publikums vorgedrungen zu sein, zumindestens wenn man den Markterfolg und das publizistische Getrommel, die die bildhauerischen Versuche eines Georg Baselitz oder eines Markus Lüpertz begleiteten, als Maßstab nimmt.

Bei einem Nebeneinander von Malerei und Plastik steht das malerische Werk oft mit dem plastischen in einem engen Zusammenhang. Auch bei Jeiter ist die Verbindung

offensichtlich. Die Zeichnungen liefern größtenteils das Formenrepertoire für die Objekte. Es ist beinahe frappierend zu sehen, wie die einzelnen Dinge aus ihrer Zweidimensionalität in die Dreidimensionalität hinüberwachsen. Allerdings bindet Jeiter Bild und Plastik nicht, was denkbar wäre, zu festen Arrangements zusammen.

Die Dinge quellen dem Betrachter nicht aus dem Bild in gleichsam materialisierter Form zu Füßen, auch wenn das Heranfluten und Herausdrängen des Mülls in einigen Zeichnungen Jeiters diese Vorstellung nahelegt. Doch erschiene dem Künstler eine Begrenzung des Bedeutungsradius der Objekte auf einen solchen Wahrnehmungseffekt als allzu billig. Statt einem bloßen Spiel mit der Illusion zu dienen, beanspruchen die Plastiken eigene Rechte und werden deshalb unabhängig von den Zeichnungen in unterschiedlicher Gruppierung auf dem Boden postiert.

Jeiter stellt seine Objekte aus Karton her. Er schneidet, knickt, falzt das Material und klebt es zu platischen Körpern zusammen. Dann zeichnet er auf verschiedene Blätter, deren Größe den einzelnen Flächen des jeweiligen Kartonobjektes entspricht, Schraffuren, Bündelungen, Wolkig-Verwischtes in gedämpften Farben und allen Graustufen bis zum Schwarz; er bedient sich also eines zeichnerischen Vokabulars, das er schon in den Bildern erprobte und hier übernimmt. Die so bezeichneten Blätter klebt er auf den Kartonkern, der im wesentlichen die endgültige Form des Objekts wiedergibt. Eine direkte Bezeichnung der Objekte zöge Jeiter nach eigenem Bekunden wohl vor, doch dazu sind diese zu fragil konstruiert. Immerhin gewinnt der Künstler durch ein zusätzliches Falten, Verwerfen, Knicken des Papiers beim Aufkleben die Möglichkeit einiger subtiler plastischer Effekte hinzu.

So entsehen leichte, verschieden große Plastiken, deren Dimension aber nie das Maß der Handlichkeit übersteigt. Es sind spielerische Gebilde, keine erratischen, monumentalen Blöcke, die Distanz fordern. Das sich stetig erweiternde Repertoire der Formen enthält Pyramiden mit unregelmäßiger Grundfläche, sehr flache Kreiskegel, Objekte aus konkaven Flächen, verwinkelte Leisten, die zuweilen Dreiecke bilden, spindelartige Konstruktionen, Blöcke und Platten, mit einfachen und komplexen Flächen, eben oder gewölbt, einzeln oder geschichtet. Die Plastiken sind dabei keine einfach zu berechnenden Körper, sondern kehren, unterstützt von einer lockeren, gestischen Bezeichnung, die Unregelmäßigkeiten ihrer Form, Dellen, Beulen, Riffelungen deutlich hervor. Manchmal denkt man vielleicht an Gesteins-platten, verrottete Maschinenteile, Kurbelwellen, Schraubenstücke, erlaubte, aber nicht zwingende Assoziationen.

Die Kartonobjekte Karl-Heinz Jeiters mögen zunächst durch formale Anregungen, durch die zeichnerische Bearbeitung der Oberfläche von der Zeichnung her gedacht erscheinen, doch trotz aller Korrespondenzen entfalten sie sich natürlich in einer anderen Dimension, im Raum, und erzeugen so ein eigenes Feld von Wirkungen, Spannungen, Bezügen, Qualitäten. Dieser grundsätzliche Abstand zwischen ver-

schiedenen künstlerischen Medien ihrer Beschaffenheit nach bedeutet - müßig, es zu betonen -, daß das durch ein Medium Dargestellte nicht ohne entscheidende Fehlstellen in ein anderes Medium übertragen werden kann. Jeiters Skulpturen wollen auch gar nicht bloß dreidimensionale Reproduktionen der Zeichnungen sein, genauso wenig wie seine Zeichnungen Abbildungen der Skulpturen sind. Jeiters Zeichnungen zeigen einen durch die Bildränder festgelegten Ausschnitt aus einem Chaos von Dingen, dessen Grenzen wir nicht überblicken können. Die Plastiken dagegen sind in ihrer Anordnung geschlossen, zu überschauen, zu umschreiten. Auch wenn Jeiter seine Kartonarbeiten zu Wandobjekten zusammenmontiert bzw. häufiger noch in lockeren oder dichteren Gruppen über den Boden verstreut, entsteht doch kam die Imagination einer wuchernden Halde, eines labyrinthisch verfilzten Dickichts, vielmehr sehen wir arrangierte Ensembles selbständiger plastischer Objekte.

Volker Adolphs

 

 

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