Dr. Annette Lagler (D)
„Paradoxe Synergien“ 1999

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Katalog „Karl-Heinz Jeiter - Zeichnungen 1994 – 2000“,
Aachen 1999, Clermont (B) 2000 / Text von Dr. Annette Lagler


Paradoxe Synergien

Die Werke von Karl-Heinz Jeiter sind voller Überraschungen. Als klassischer Zeichner vetritt Jeiter eine der elementarsten Gattungen der bildenden Künste. Dabei entwirft er mit einfachen künstlerischen Ausdrucksmitteln, mit Papier und Stiften, komplexe Bildwelten und geheimnisvolle Phantasielandschaften.

Jeiters Zeichnungen erstaunen zunächst vor allem durch ihre außergewöhnliche Größe. Die mehr als anderthalb Meter hohen und über zwei Meter breiten Arbeiten sind formatfüllend bearbeitet. Dabei sind die einzelnen Farbschichten kompakt aufgetragen und so übereinandergelagert, daß an keiner Stelle der Untergrund - das Papier - frei bleibt. Die Kompositionen sind durch Hell-Dunkel Kontraste bestimmt. Durch die Maße der Werke, aber auch die Breite der einzelnen Farbbahnen und den Bildaufbau mit Grundierung und Schichtung erschienen die Arbeiten zunächst wie Gemälde. Bewusst spielt Jeiter auf Zwitterformen zwischen Malerei und Zeichnung an. Indem er die Anforderungen an die Gattung der Malerei mit den Mitteln der Zeichnung erfüllt, verweist er programmatisch auf die unerschöpften Möglichkeiten der Zeichenkunst.

Dunkle Naturfarben bestimmen die Pallette der Bilder. Mit Ocker, Umbra, Erdbraun, Anthrazit und Grau erinnert das Kolorit an Gestein, an Felsen oder an Schiefer. Ein indirektes Schimmern läßt die Färbung der verschiedenen Grundierungen in Blau-grün oder Rotlila erahnen. Vereinzelt blitzen auch schmale Striche in grelleren Farbtönen hervor, oder es sind `FarblichterA in Gelb, Lila oder Rost gesetzt. So ist das gesamte Farbenspektrum vertreten. Es verleiht den grau-braunen, hell-dunkel akzentuierten Bildern eine unerwartete Lebendigkeit, die sich jedoch erst beim näheren Betrachten erschließen läßt.

Formen und Farbenspiel verweisen in den Arbeiten von Karl-Heinz Jeiter auf mineralogische Struktuern, auf - von nahem betrachtete Sedimente und Ablager-ungen. Die `ungeordnetenA Gebilde werden in den Zeichnungen - ganz im Sinne von Leonardos Inspirationstheorie - zu Felsbrocken, zerklüfteten Gebirgen, Phantasielandschaften oder höhlenartigen Innenräumen. Es sind menschenleere Bildbühnen, die die schöpferische Einbildungskraft des Betrachters anregen. Wie Mikromegas in Voltaires Roman die Ganzheit der Welt von seinem jeweiligen Standpunkt aus neu erfährt, so ist es auch in Jeiter Zeichnungen möglich, Gestein, Blatt und Landschaftpanorama gleichzeitig zu entdecken - je nach der Sichtweise des Betrachters.

Jeiter begnügt sich jedoch nicht mit der Kongruenz von Mikro- mit Makrostrukturen, sondern erweitert diesen neuplatonistischen Lehrsatz - indem die "Gegenstände" seiner Bilder auf einen umfassenden Naturbegriff anspielen. Die ausgefransten Ränder und geschwungenen Formen der Farbflächen erinnern an Rinde oder Blätter. Der Ausdruck der Bilder wird somit durch neue Attribute bestimmt: während mit den Anspielungen auf Gestein Dichte und Schwere verbunden ist, verweisen Blätter als leichte und bewegliche Elemente auf konträre Eigenschaften. Damit gelingt es dem Künstler - die Vielfalt und den Fassettenreichtum von Natur wiederzugeben.

Ob man Gestein, Rinde oder Laub erkennt - in allen Fällen geht der Betrachter von der Naturnachahmung aus. Dieser Eindruck wird bekräftigt durch die hell-dunkel- Kontraste, die an fotografische Vorlagen denken lassen. Durch Linienbündel und ausholende Schraffuren entwirft Jeiter jedoch zugleich auch abstrakte Muster und verweist so selbsreflexiv auf den Schaffensprozeß. Natur und Kunst werden dabei miteinander verschmolzen - als Zeichen gemeinsamer energetischer Zusammenhänge.

Annette Lagler

 

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